In Kur (4) – Therapieplan

Die Frühstückszeiten sind hier etwas gewöhnungsbedürftig:  7:15 Uhr ist in meinen Augen eine nächtliche Ruhestörung und keine Essenszeit. Nicht einmal Frühstück ans Bett ist drin. Ja, ja, mit den Kassenpatienten kann man es ja machen.

Aber die Klinikleitung weiß, daß der Hunger alle an die Tische treibt, und deswegen brauchen die von ihrer harten Haltung keinen Deut abzuweichen.

Die nette Maus vom Vorabend saß auch mit am Tisch und lächelte mir ein „Guten Morgen, Güntha“ entgegen. Scheiße, warum muss ich immer das Problem mit den Namen haben: Ich kann mir grad mal meinen merken, aber alle anderen kennen mich.
Wenigstens an Klaus kann ich mich erinnern. Den Retter meiner 8-Kisten-Notration.

Nach so einer Weinverkostung brauchte ich erst einmal einen starken Kaffee. Der Duft zog mir schon betörend in die Nase, doch nach dem ersten Schluck vermutete ich, dass hier in der Klinik auch Herzpatienten untergebracht waren. Purer Bodensee-Kaffee – wenn man in den Kaffeepott reinguckt, kann man bis zum Boden sehen.

Gibscht du mir mal a Wecka? Fragte mich mein Gegenüber und riss mich aus meiner Kaffeesatzleserei. Ein zierlicher Wuschelkopf mit eigenwilligem Dialekt. Ich war mir zwar nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte, aber stirnrunzelnd machte ich meine Armbanduhr ab und reichte sie herüber…..
„Ha Noi, a wecka!
„Den hab ich auf dem Zimmer“, antwortete ich entschuldigend.
Wozu braucht die beim Frühstück einen Wecker fragte ich mich, als sie mir leicht genervt und mit bemüht deutlicher Aussprache sagte: Ein BRÖÖÖTCHEN!!!!!!
Die kann ja doch deutsch! Lächelnd reichte ich ihr den Brötchenkorb.

Während des Frühstücks verglichen wir unsere Therapiepläne. Kur ist halt Aktivurlaub.
Walking, Nordic Walking, Wandern, progressive Muskelentspannung, Schwimmen, Wassergymnastik, Zirkeltraining, Einzelgespräch, Gruppentherapie, Ergotherapie, Visite… also so aktiv hatte ich mir dass dann doch nicht vorgestellt. Da bleibt ja gar keine Zeit mehr für den Urlaub. Wie soll ich mich da erholen?!

Schon bei der Bundeswehr hatte ich gelernt:
„Melden macht frei!“ Also meldete ich mich mal flugs bei Nordic Walking ab. Dachte ich! Aber der Personal-Fitness Trainer liess nicht locker. Mit stoischer Ruhe und nicht enden wollendem Elan erklärte er mir, wie toll dass doch für Herz-Kreislauf, Fettverbrennung und die Beanspruchung des gesamten Muskelapparates sei. Als mich das nicht überzeugte versuchte er mir mit der Ausschüttung irgendwelcher Glückshormone beizukommen.

Ich atmete tief durch. Irgendwie sprachen wir unterschiedliche Sprachen. „Pass mal auf“, sagte ich in ruhigem Ton, „wenn ich Glückshormone ausschütten will, dann fällt mir auf Anhieb eine Beschäftigung ein, bei der das viel mehr Spass macht. Und mein Herz-Kreislauf-System kommt dabei auch gut in Schwung. Da brauch ich solche Turnübungen für Frührentner nicht für.“

Nachdem dass geklärt ist, nimmst du jetzt die Walking-Stöcke, gehst zum Küchenchef und sagst dem, der soll die mal schön rektal in so ein Spanferkel stecken und dann langsam über offener Flamme bis zum Abendessen fertig machen. Dazu ein lecker Bierchen, nicht diese Eifel-Plörre, die es hier sonst überall gibt.“ Die Kinnlade klappte ihm fast bis zu den Knien, also ging ich davon aus, er hatte verstanden, was ich ihm mitteilen wollte. Es kommt halt bei der Kommunikation nur darauf an, dass man sich vernünftig ausdrückt.

Auf meinem Therapieplan stand nun Gruppentherapie.

Für diejenigen, die damit nicht so viel anfangen können: Das ist wie Gruppensex, nur ohne vögeln. Man sitzt in einem Stuhlkreis und lauert darauf, dass irgendein anderer Teilnehmer sich opfert und etwas von seinem Leidensweg preisgibt. Das Ganze wird dann von den anderen Beteiligten bis zum Ende der Stunde kommentiert, analysiert und bewertet.

Der Nachteil solcher Gruppen: Irgendwann kennt man sich und wirklich Neues gibt es dann kaum noch auszuschlachten. Deswegen dürfen sich meist die neu zur Gruppe Gestossenen seelisch ausbreiten. Zum Glück war ich nicht der einzige Neuling und so liess ich meinem Stuhlnachbarn galant den Vortritt. Den Mann hatte es echt schwer erwischt: Mit traurigem Blick erläuterte er, welche privaten und beruflichen Probleme es ihm bereite, dass er immer länger währende Phasen habe, in denen er sich für Jesus halte. Jetzt weiss ich nicht, wie Jesus zu Lebzeiten aussah, aber mir meinen 400 Pfund schweren Stuhlnachbarn als Jesus vorzustellen, fiel mir schwer.

Schwer fiel mir auch, mein Lachen zu unterdrücken, als er erzählte, wie er in einem seiner Anfälle als Jesus die Bettler aus dem Tempel warf. Der gute Mann ist Bankangestellter und hat seine ganze Filiale aufgemischt indem er Kunden und Kollegen kollektiv aus den Räumlichkeiten rausschmiss.

Leider war die Therapiezeit noch nicht ganz vorbei, als der Teilzeitjesus endete und so musste ich doch noch ran: Mit todernster Miene erklärte ich, dass mein Problem in immer länger währenden Phasen, in denen ich mich für den Vater meines Vorredners hielt, bestünde. Die Therapeutin sog zischend Luft zwischen ihren Zähnen ein und ihr Blick verhieß mir, dass diese Nummer nochmal in einem Einzelgespräch thematisiert würde. Na ja, dann haben wir ja wenigstens schon mal ein Thema.

Auch in der nächsten Therapie fiel ich gleich wieder auf: Ergotherapie leitete ich von Ergometer, im Volksmund „Trimmrad“, ab. Folglich tauchte ich Sportskanone mit Magnesiumgetränk und Schweisstuch ausgestattet im knappen Sportdress und MP3-Player auf den Ohren auf.

Ich war der Einzige.

Klaus, der ebenfalls zur Ergo musste und in Filzpantoffeln und Strickjacke um die Ecke gelatscht kam, brach auch gleich in schallendes Gelächter aus, als er mich sah.“Ergotherapie hat nichts mit Fahrrädern zu tun.“ klärte er mich auf. „Das ist eine Gestaltungstherapie.“ Fragezeichen tanzten um meine Stirn. „Malen, Speckstein, Zeichnen, Basteln“ ergänzte er.

Oh nee! So schnell wie ich da reingerutscht war, kam ich aus der Sache natürlich nicht wieder raus und neben Klaus hatten auch alle anderen ihren Spaß. Alle, außer mir!

Musste mal gesagt werden, woll!

Euer
Güntha ‚der Seemann‘ Koslowski