„Gesichtsbuch?“ Ungläubig schaute ich meinen Tresennachbarn an.
„Kennste nicht?“ antwortete Tim.
„Wer denkt sich denn so einen bescheuerten Namen aus? Gesichtsbuch!“
„Das ist englisch: facebook.“
„Scheisse heisst auf englisch auch shit, riecht deshalb aber nicht besser.“
„Güntha, Du hast keine Ahnung.“
Das sass. Mir sowas ausgerechnet von Tim sagen lassen zu müssen. Tim ist städtischer Beamter. Ahnung hat der also per Definition nicht.
Und er legte auch gleich noch einen nach: „Du willst doch den Durchbruch schaffen. Berühmt werden. Mit facebook geht das ganz von alleine.“
Ich kochte: So ein sonntagszumfrühstückmotorradfahrenderbeamtermitzweikindernunddermuttibravzuhause will mir PR-Tipps geben?! MIR, Güntha dem Seemann Koslowski!!?!?!
Ich holte tief Luft und nahm erst mal einen großen Schluck Kronen Export. Zur Sicherheit noch was Klares hinterher. Ruhiger werden.
Ich schaute dem Kommunallemming tief in die Augen und erwiderte seelenruhig und mit der gebotenen Portion Stolz in der Stimme:
„ Kölnarena, Westfalenhalle Dortmund, Deutschlandhalle Berlin, Europahalle Castrop-Rauxel und viele mehr… da wär ich beinahe schon aufgetreten. Also komm du mir nicht mit deinem Gesichtsbuch und Durchbruch, pah! Den einzigen Durchbruch den ein Beamter kennt ist doch der vom Blinddarm, weil er darauf ordentlich krank feiern kann.“
Spiel, Satz und Sieg.
Tim hielt die Fresse, trank hastig sein Alkoholfreies aus und beeilte sich, sich in seinen Smart zu quetschen. Genau der richtige Wagen für eine 4köpfige Familie, aber was willst Du von einem Beamten schon erwarten. Eigentlich wollte er ja mit seinem Motorrad kommen, aber das Wetter war so unbeständig, da wollt er nichts riskieren. Meine Laune hatte er jedenfalls verdorben und so verliess ich die Fuselpinte ebenfalls.
Zuhause angekommen war ich dann aber doch neugierig und googelte mal.
Google ist eine tolle Erfindung. Man braucht nichts mehr zu wissen, nur noch, wie es geschrieben wird.
Google weiß alles. Google findet alles – außer Chuck Norris. Denn Google weiß, dass Chuck Norris es findet, nicht umgekehrt!
Facebook wird aber problemlos gefunden:
Facebook ermöglicht es dir,
mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu
treten und Inhalte mit diesen zu teilen.
Toll. Und das soll der Durchbruch sein? Das ermöglicht mir mein Telefon auch. Die Fuselpinte auch. Aber hier im Internet soll es der Durchbruch sein? Ich blieb skeptisch.
Andererseits konnte ich Tim nicht weiterhin die Triumph gönnen, sich in meiner Unwissenheit zu sonnen.
Also begab ich mich in die Höhle des Löwen.
Kaum registriert, überhäuften sich die Freundschaftsanfragen.
Gut, dass hatte ich als Person des öffentlichen Lebens nicht anders erwartet.
Nur…
… einen Großteil dieser Menschen kannte ich nicht mal flüchtig.
Einige scheinen auch so eine Art Wettbewerb zu verfolgen, die größte Freundesliste zu erhalten ( gibt es darüber eigentlich schon einen Guinnessbuch – Weltrekord? ).
Bei Facebook gibt es für alles und jeden Scheiss irgendeine Gruppe. Oft gibt es sogar für jeden Scheiss mehrere Gruppen. Gibt es für irgendetwas mal keine Gruppe, existiert aber mit Sicherheit eine eigene Seite zu dem Thema, oder gleich mehrere. Selbst wenn diese nur auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel verweist (in dem Fall ist es natürlich kein Scheiss, denn bei Wikipedia werden Artikel durch so etwas wie ein kollektives Gewissen geprüft (ähnlich wie bei den Borg in Raumschiff Enterprise), nur nennt sich das hier Autorenteam).
Sowas fehlt bei Facebook. Vielleicht auch nicht, ich weiss es nicht. Wenn es das gibt, möchte ich gar nicht wissen, wie es aussähe, wenn es das nicht geben würde.
Spannend wird es, wenn man einige Tage nicht bei facebook war ( ich höre schon den entrüsteten Aufschrei „UNREALISTISCH“, aber doch, solche Menschen gibt es) und ein netter Zeitgenosse einen ungefragt in eine dieser inhaltslosen aber dauertextenden Gruppen eingeladen hat.
Bevor man sich wehren konnte, ist das Postfach des Mailaccounts schon bis obenhin verstopft, weil jede geistige Regung der Gruppenmitglieder direkt an die eigene Mailadresse versandt wird, bevor man die Gruppeneinstellungen ändern konnte.
Facebook ist im Prinzip nix anderes als die Stasi. Nur effektiver. Allerdings mit dem grossen Unterschied, dass die Leute sich selbst bespitzeln. Und wie gründlich die sind: Von der täglichen Meldung welche Garderobe man wählt, über die Farbe des Stuhlgangs bis zur Staulänge auf der A40 („riesige Fahrzeugschlangen hinter mir. Wahnisnn! Es gibt kein Durchkommen! Nur vor mir ist alles frei. Komisch, oder?“) Bei facebook kann man sein ganzes Leben mitteilen. Alles. Wirklich Alles. Ohne Hemmungen. Da gehört die Angabe wo man sich grad befindet noch zu den angenehmeren Infos.
„Bin grad mit einer netten Blondinen beim sündhaft teuren Italiener. Hoffentlich macht sich das nachher noch bezahlt“
mag ein nettes Posting für die Jungs aus dem Freundeskreis sein (am besten noch mit Handyupload von einem Untertischfoto als Beweis, dass besagte Dame wirklich kein Höschen trägt). Aber wenn die eigene Gattin auch bei Facebook ist, kann das einen schon in Erklärungsnot bringen. Zum Glück findet man bei Facebook auch Scheidungsanwälte.
Facebook ist so fortschrittlich, das wenn man sich auf einer Party den Verstand soweit weggesoffen hat, das man vergessen hat, dass man dort war, Facebook anhand der Gesichtserkennungssoftware die von Freunden hochgeladenen Fotos direkt mit Namen versehen kann und man sich so selber mit als erstes in den peinlichsten Posen bewundern kann.
Um das Entfremden von der realen Welt weiter zu erleichtern, gibt es „Anwendungen“:
Glücksnüsse wie es sie sonst nur beim Chinesen gibt, Horoskope, Freundegrußkarten, virtuelle Rosen, Spiele und und und. Bei jedem Anmelden muss man sich durch Fluten von Einladungen zu irgendwelchen dusseligen Spielen klicken. Wenn man sonst keine Hobbys hat sicherlich ein netter Zeitvertreib.
Die weitaus gefährlichste Waffe im ganzen facebook Universum ist aber die „gefällt mir Schaltfläche“:
Jeder kann jeden und alles mögen!
Und das nun auch nonverbal unmissverständlich über einen schnellen Mausklick dem Rest der Welt kommunizieren. Reifen, Autos, Menschen, Haarspray, Alkoholische Getränke. Es gibt nichts, was man nicht mögen kann. Selbst Hämorrhoiden gefallen bei facebook 40 Personen. Und die Jagd nach den Klicks ist unerbittlich. Nicht nur für das Image sind viele „Likes“ Balsam, sondern auch die Produktbewerbung ist wesentlich einfacher, wenn die Konsumenten regelmässig über Neuigkeiten auf das Profil gelockt werden. Da hilft man auch schon gern mal nach: Produktverlosungen unter der eigenen Anhängerschaft sind da noch harmlos. Wer bei Rolls Royce „gefällt mir“ in der Hoffnung geklickt hat, die werden eine Luxuskarosse ins Volk werfen, um weitere Klicks zu kriegen, der wird wohl enttäuscht werden (hat es aber auch nicht besser verdient).
Lustiger- ausser für die Betroffenen – ist, wenn sich Freunde irgendwelche Videos angucken und nicht misstrauisch werden, dass sie zwei dubiose Schaltflächen klicken mussten (hinter denen sich „gefällt mir“ und „Link teilen“ verbargen), bevor der Film startet. Schon verbreitet sich in den Freundeslisten, welche kuriosen, billigen Videos mit schlüpfrigem Titel man sich gern anschaut.
Tim hatte Recht: Facebook ist der Durchbruch. Für die einen in ungeahnte Höhen und Marktpräsenz, für die anderen der des Magens. Man liebt es, hasst es oder ignoriert es.
Fakt ist: Jetzt ist es wesentlich besser geworden. Ich bin jetzt nämlich auch da!
Deshalb erstmal auf die „gefällt mir“ Schaltfläche klicken, gelle!!!
Musste mal gesagt werden, woll!
Euer
Güntha ‚der Seemann‘ Koslowski